Kommunikation im Wandel. Wenn Wörter verschwinden.

„Kurz vor Sendeschluss habe ich mal eine Affenzahn-kurze Frage an Sie: Sind Ihnen heute schon ein Paternoster, ein Graf Koks, ein Tausendsassa oder gar ein Vatermörder begegnet? Sapperlot! Können Sie auch etwas mit Backfischen, Mauerblümchen oder Luftikussen anfangen? Dann sollten Sie einfach weiterlesen!

Ist das für Sie kommod? Oder wird Ihnen blümerant, wenn wir Floppy Disks oder den Amtsschimmel hervorkramen? Alles Mumpitz oder Kokolores sagen Sie?

Und Ihre Wählscheibe, Ihr Walkman und die letzte Depesche sind Ihnen leider auch abhandengekommen? Und unter Ihrem Sofa sieht es aus wie bei Hempels? Dann machen Sie jetzt bitte keine Sperenzchen. Es hilft auch nicht, wenn Sie in die Sommerfrische oder in die Bedürfnisanstalt flüchten, um sich zu erleichtern, eine Runde schwofen oder sich im Lotterbett verstecken und einen Käseigel verdrücken, denn, mit Verlaub, das Aussterben von Wörtern ist ein natürlicher Prozess. Ist der Groschen gefallen, oder halten Sie das Ganze für eine hanebüchene Schnurre? Potzblitz! Dann gibt es die perfekte Lösung: Streuen Sie doch ab und zu eines dieser schönen veralteten Wörter in Ihren Sprachgebrauch ein. Nur so zum Pläsier.“1

...weitere im VBL-Geschäftsbericht 2018.

Sendeschluss: Bis in die 90er Jahre Realität im deutschen Fernsehen.

Affenzahn: Eine Mischung aus zwei Wörtern: 1. Schnelle Bewegungen wurden im Mittelalter als „affenartig“ bezeichnet. 2. In den Küchen hingen damals Töpfe über dem Feuer an Zacken beziehungsweise Zähnen. Wollte man, dass das Essen schneller fertig wird, hängte man den Kessel tiefer; legte also „einen Zahn zu“.

Graf Koks: Der Name hat seinen Ursprung in einem zylinderähnlichen Hut, der im 19. Jahrhundert „Koks“ genannt wurde.

Sapperlot: Ausdruck der Überraschung, Begeisterung, aber auch Ausruf der Verwünschung. Herkunft von sacre nom (heiliger Name), Sakrament.

Backfisch: Bezeichnung für ein Mädchen im Teenageralter. Ursprünglich stammt der Begriff aus der englischen Sprache: „Backfish“ waren die zu kleinen Fische eines Fangs, die zurück ins Wasser geworfen wurden.

Luftikus: Dieser „Nichts-als-heiße-Luft-Verbreiter“ ist ein besonders sorgloser und leichtsinniger Mensch. Entstanden ist das Wort in der Studentensprache des 19. Jahrhunderts.

Blümerant: Flaues Gefühl. Das Wort geht auf den französischen Begriff „bleu mourant“ zurück, ein Modewort, mit dem man im 17. Jahrhundert Ohnmachtsanfälle ankündigte.

Amtsschimmel: Pedantisches Pochen auf Gesetze und Vorschriften. Im 18. Jahrhundert bürgerte sich der Begriff in der Schweiz ein, wo Amtsboten ihre Nachrichten per Pferd überbrachten.

Bei Hempels unterm Sofa: Dieser Spruch umschreibt Unordnung und Chaos. Dabei leitet sich „Hempel“ aus dem Wort „Hampel“ ab, womit man schon zu Martin Luthers Zeiten einen einfältigen Menschen bezeichnete.

Schwofen: Ausgelassen tanzen.

Mit Verlaub: Diese Redewendung („mit Ihrer Erlaubnis“; „wenn Sie gestatten“) stammt aus dem 17. Jahrhundert und wurde als Einleitung für eine offene oder freche Bemerkung benutzt.

Potzblitz: Große Verwunderung. „Gott in Flüchen“ ging früher gar nicht, deshalb wurde sein Name zu „Box“, „Botz“ oder „Potz“ verfremdet. Und so entstand die gottesfürchtige Variante des Gottesblitzes.

Pläsier: Inniges Vergnügen, besonderer Spaß, vom französischen Wort „plaisir”.

Warum werden Wörter nicht mehr benutzt? Oder in einer Sprache einfach ad acta gelegt? „Der Grund dafür ist eigentlich ganz einfach“, erklärt Claudia Wich-Reif, Professorin für Geschichte der deutschen Sprache an der Universität Bonn. „Wir brauchen diese Wörter nicht mehr.“ Doch niemand muss sich jetzt Sorgen machen, dass die deutsche Sprache dadurch Schaden nimmt. „Durch das Wegfallen von Wörtern verarmt die Sprache nicht. Wir bekommen ja auch ständig neue Wörter dazu“, sagt Wich-Reif.2 Wer bis zur ersten Dudenausgabe 1880 zurückblickt, stellt fest, dass sich die Wortanzahl bis heute verfünffacht hat. Neue Wörter entstehen vor allem in politischen, technischen, sportlichen oder modischen Zusammenhängen. Manchmal kommen Wörter auch einfach „aus der Mode“, werden aus der Jugendsprache oder aus Fremdsprachen übernommen oder neu zusammengesetzt – da bietet die deutsche Sprache eine unendliche Anzahl von Möglichkeiten.

Eine deutliche Veränderung der Sprache zeigt sich im Wortschatz. Allein in seiner 27. Auflage hat der Duden – die Autorität in Sachen deutsche Sprache – 5.000 Wörter neu aufgenommen; beispielsweise „Willkommenskultur“, „Filterblase“ oder „postfaktisch“. Wortkreationen, die aufgrund politischer Debatten gebräuchlich wurden, genau wie das Wort „merkeln“ aus der Jugendsprache oder der „Brexit“ vom englischen Premierminister David Cameron.
 
Auch „Hygge“, der Wohlfühl-Begriff aus Dänemark (ursprünglich aus Norwegen), hat sich laut Fachleuten einen Platz in der deutschen Alltagssprache erobert. Dazu viele englische Wörter rund um die neuen Medien wie „facebooken“, „Social Bot“, „Hashtag“ oder „Selfie“. Alles Neuankömmlinge im Duden, die im Alltag längst verwendet werden. Technik, Popkultur und Mode bescheren uns zusätzlich viele Ausdrücke: Beispielsweise wurde aus dem einfachen Kapuzenpullover ein „Hoodie“, der jetzt jüngere, trendige Zielgruppen anspricht, und ein „Jumpsuit“ lässt sich viel besser verkaufen als der herkömmliche Hosenanzug.

Wahrnehmbar ist die hohe Anzahl von Anglizismen. „Es ist einfach Fakt, dass viele Dinge in unser Leben treten, die aus dem englisch-amerikanischen Raum kommen, wenn man zum Beispiel an technische Entwicklungen denkt“, sagt Redaktionsleiterin Kathrin Kunkel-Razum von der Süddeutschen Zeitung.3 Doch welche Wortkreationen werden sich langfristig durchsetzen? Es liegt an uns. Bastian Sick, der Autor des Bestsellers „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ betont, dass Sprache etwas Demokratisches ist, denn letzten Endes entscheiden wir alle, welche Wörter genutzt werden und welche nicht.4

Auch die VBL selbst hat Wortneuschöpfungen im Repertoire. Diese Wörter sind allerdings schon seit einigen Jahren in Verwendung.

 

 

 

Download: VBL-Geschäftsbericht 2018, PDF, 14 MB

 

 

Quellen:
1 Petra Cynin, Das Buch der fast vergessenen Wörter, 2017; Duden, Versunkene Wortschätze, 2016; www.wikipedia.de.
3 br.de, Wenn Wörter verschwinden, 2018.
4 sz.de, „Filterblase“, „Selfie“ und „Hygge“ kommen in den Duden, 7. August 2017.
5 Deutschlandfunk Kultur, Anglizismen im neuen Duden, Bastian Sick im Gespräch mit Liane von Billerbeck, 2017.